Säuglingstauchen - ja oder nein?


Kennen Sie das Nevermind-Cover von Nirvana? Ein nacktes Baby taucht scheinbar zufrieden alleine im Schwimmbecken. Sieht zugegeben cool aus.

Und noch immer werden auch in der Schweiz in vielen Schwimmschulen Säuglinge fremdbestimmt getaucht, d.h. die Kinder werden z.T. mit vorgeübten Kommandos oder nach Wassergusstest unter Wasser gezogen oder gedrückt. Teilweise werden die Kleinen auch über grössere Strecken von 2-3 Meter unter Wasser hin- und hergeschoben.

Ich habe mich im Laufe meiner Ausbildung und auch danach intensiv mit dem Thema Säuglingstauchen auseinandergesetzt. Bisher habe ich keinen überzeugenden Nutzen darin erkennen können. Beweise, dass Kinder durch das fremdbestimmte Tauch-Training schneller Schwimmen lernen, stehen aus.


Einzelne Befürworter argumentieren, der Atemschutzreflex, ein angeborener Reflex aus der Schwangerschaft, welcher sich wenige Monate nach der Geburt verliert, lasse sich durch das Säuglingstauchen verzögern. Ich habe mehrere Kinderärzte dazu befragt.

Darunter auch Kinderarzt Dr. med. Manuel Schmid, unterdessen Oberarzt meV. an der Kinderklinik für Neonatologie am Universitätsspital Zürich, welcher im Jahr 2012 einen Ertrinkungsfall beim Babyschwimmen in Ulm D behandelt hat. Er sagt, dass der Atemschutzreflex einen unzuverlässigen Schutz biete, da sich dieser nicht nur zu unbestimmtem Zeitpunkt verliere, sondern manchmal stärker und manchmal schwächer ausgeprägt sei. Ein Reflex lasse sich aber nicht überlisten; entweder ist er da oder weg, antrainieren sei unmöglich.

Nach dem erwähnten Tauchunfall in Ulm, bei welchem ein sechs Wochen alter Säugling nach einer Tauchübung im Babyschwimmkurs reanimiert werden musste, hat sich Dr. med. Manuel Schmid gemeinsam mit anderen Ärzten intensiv mit der Thematik Babyschwimmen und –tauchen befasst.


Entstanden ist ein Fachartikel mit folgenden Empfehlungen für das Babyschwimmen:

  • Wassertemperatur über 30°C
  • Kurs möglichst zeitnah nach Wasserwechsel
  • Schwimmbäder mit geringem Chlorgeruch bevorzugen
  • Ausgiebiges Duschen (Eltern & Kinder) vor der Kursstunde
  • Schwimmwindeln für die Kinder
  • Kein fremdbestimmtes Untertauchen der Kinder
  • Risiko-Familien für allergische Erkrankungen sollten sich vor Teilnahme von Ihrem Kinder- und Jugendarzt beraten lassen
  • Teilnahme nur wenn Eltern & Kinder Spaß am Babyschwimmen haben
  • Abschluss der Rotavirus-Impfung vor Kursbeginn

 

Neben den physiologischen Gefahren beim Säuglingstauchen bestehen auch psychologische Risiken.

Wird nämlich ein Kind gegen seinen Willen getaucht, kann es Angst bekommen und das Vertrauen ins Wasser und in seine Bezugsperson verlieren. Es kann somit das Urvertrauen gestört werden. Diese Angst später wieder abzubauen, ist meist sehr schwierig.

Dies können Ihnen viele Erwachsene bestätigen, die beim eigenen Schwimmen lernen unter Wasser gedrückt oder gezogen wurden und noch heute keine gute Beziehung zum Wasser haben.

Bisher habe ich noch keine erwachsene Person getroffen, die sich gerne unter Wasser drücken lässt. Wieso also sollten wir das mit unseren Kindern machen?

Unsere Erfahrung

Wir haben in unseren Kursen schon viele Säuglinge und Kleinkinder übernommen, welche vorab in anderen Schwimmschulen fremdbestimmt getaucht worden sind und seither Angst vor dem Wasser hatten. Teilweise hätten die Kinder nach dem Tauchgang geweint oder geschrien, teilweise haben die Kinder seither den Tiefwasserkontakt verweigert oder klammern sich seit der Taucheinheit an der Bezugsperson fest. Sie wieder ans Wasser zu gewöhnen bedarf sehr viel Zeit, Geduld und Einfühlungsvermögen.




Selbstverständlich gibt es auch Kinder, welchen das fremdbestimmte Tauchen scheinbar nichts ausmacht, aber als dreifache Mutter rate ich, Kinder nur Aktivitäten auszusetzten, bei denen das eigene Bauchgefühl stimmt und die einen erkennbaren Nutzen haben - und somit nichts zu riskieren.

Besser

Tauchen ist eine Grundvoraussetzung zum Schwimmen lernen und deshalb zwingend nötig. Das Kind sollte meines Erachtens jedoch selbstbestimmt tauchen lernen dürfen. Natürlich kann das Gesicht beim Sprung vom Beckenrand nass werden und es gibt auch viele Säuglinge, die immer wieder freiwillig ihr Gesicht ins Wasser tauchen, ohne sich dabei zu verschlucken. Dies ist alles absolut in Ordnung. Ebenso ist es wichtig, Kinder, die gerne tauchen, nicht zu bremsen, sondern zu unterstützen und tauchen zu lassen.


Wichtig finde ich, dass die Kinder immer wieder auf spielerische Weise das Duschen und "Gesicht nass machen" üben. Dafür eignen sich Becken mit Löchern (z.B. Ikea Mikrowellendeckel), Pflanzen-Sprüher und taktile Materialien (Tücher, Waschlappen, Duschschwämme, Abwaschschwämme  u.s.w.) sehr gut.


Frühestens mit ca. 1 ½ Jahren
kann ein Kind bewusst die Atmung anhalten (Mundverschluss) oder die Luft ins Wasser ins Wasser auspusten (Bläterle) und dann selbstbestimmt untertauchen. Deshalb ist es sehr sinnvoll, das Bläterle und den Mundverschluss den Kindern bereits im Säuglingsalter immer wieder vorzuzeigen.




Übrigens

Die DLRG (Deutsche Lebensrettungsgesellschaft) hat im Jahr 2013 ein Merkblatt zum Thema Babyschwimmen publiziert, in dem es von fremdbestimmten Untertauchübungen mit Säuglingen abrät. Auch swimsports.ch und die SLRG (Schweizerische Lebensrettungsgesellschaft) lehnen das fremdbestimmte Untertauchen von Säuglingen ab. 

Merkblätter und weiterführende Infos

Dr.med. Manuel Schmid, der den Ertrinkungsfall in Ulm behandelt hat, hat die Sachlage in einem Mail an mich sehr gut formuliert.
Zitat:
"...Und da es einen erwiesenen Vorteil von Babytauchen nicht gibt kann ich nicht nachvollziehen, dass man seine Kinder absichtlich dem Risiko des Untertauchens aussetzt und sich auf einen Reflex verlässt, der das Überleben in Notsituationen sichern soll. Das ist ja etwa, als würde man sich auf den Greifreflex verlassen und sein Kind an der Wäscheleine aufhängen und im Wind tanzen lassen, oder als würde man das Flugzeug immer über die Notrutschen verlassen."

Merkblatt der Deutschen Lebensrettungsgesellschaft zum Thema Babyschwimmen & -tauchen
Merkblatt_M3-001-14_.pdf (285.58KB)
Merkblatt der Deutschen Lebensrettungsgesellschaft zum Thema Babyschwimmen & -tauchen
Merkblatt_M3-001-14_.pdf (285.58KB)
Elternratgeber: Babyschwimmen - nützlich oder riskant
Babyschwimmen - nützlich oder riskant.pdf (135.33KB)
Elternratgeber: Babyschwimmen - nützlich oder riskant
Babyschwimmen - nützlich oder riskant.pdf (135.33KB)


Unterlagen von Dr.med. Manuel Schmid - 1. Teil
Babytauchen - Caisson Teil 1.pdf (72.15KB)
Unterlagen von Dr.med. Manuel Schmid - 1. Teil
Babytauchen - Caisson Teil 1.pdf (72.15KB)
Unterlagen von Dr.med. Manuel Schmid - Teil 2
Babytauchen - Caisson Teil 2.pdf (1.81MB)
Unterlagen von Dr.med. Manuel Schmid - Teil 2
Babytauchen - Caisson Teil 2.pdf (1.81MB)


 

Und hier noch zwei Artikel aus dem Schweiter KTipp zum Thema:

https://www.ktipp.ch/artikel/d/eltern-schicken-ihr-baby-ungefragt-auf-tauchstation/
  

https://www.ktipp.ch/artikel/d/tauchen-trotz-verbot/